Donnerstag, 15. Juli 2010

Asiens Angst vor dem grossen Fussball-Skandal

Das Nationalteam Chinas droht in der WM-Qualifikation zu scheitern

hle. Es waren keine schönen Fragen, die sich Arie Haan an seinem 56. Geburtstag gefallen lassen musste. Ob er am Mittwochabend ein Nationalheld im grössten Land der Welt oder eine unerwünschte Person für 1,3 Milliarden Chinesen sein werde? Er lasse sich eines nicht nehmen, hat der holländische Coach geantwortet: die zwei Jahre, in welchen sich die Fussballauswahl aus dem Reich der Mitte unter seiner Regie sehr gut entwickelt habe. Und noch etwas sollten sich die Kritiker merken: «Mit dem Fussball wird es in China nicht aufhören, ganz egal, was jetzt in Guangzhou und in Kuwait passiert.»

Es ist ein gespenstisches Szenario, denn Haans Team liegt vor dem letzten Spieltag der ersten Qualifikationsrunde in der Gruppe 4 der Asienzone hinter Kuwait auf Platz zwei. Die Auswahl aus dem Ölstaat weist nach fünf Partien die bessere Tordifferenz (9:1/7:1) auf - und nur wer sich in diesem Fernduell durchsetzt, besitzt weiterhin die Chance, im Sommer 2006 an der WM in Deutschland dabei zu sein. Die Chinesen müssen gegen Hongkong partout zwei Tore mehr schiessen als die Kuwaiter, die zur gleichen Zeit gegen die bis jetzt punktelose Mannschaft aus Malaysia als haushoher Favorit einlaufen.

Erinnerungen an 1985

Wiederholt sich hier sogar die Geschichte? Die grösste Demütigung in der Fussball-Historie des Riesenreichs, die am 19. Mai 1985 sogar einen Volksaufstand vor dem Worker-Stadion in Peking nach sich zog? Die 1:2-Niederlage gegen den vermeintlichen Aussenseiter Hongkong bedeutete nicht nur den sportlichen K. o. auf dem Weg zum WM-Turnier in Mexiko, der gesellschaftliche und sportpolitische Skandal wog noch schwerer. Das Fernsehen verbreitete weltweit Bilder, wie radikale Fans Hunderte von Autos demolierten. Etliche der Spieler haben noch Jahre später ihre Ängste gestanden: «Man hätte uns grün und blau vermöbelt, ja vielleicht sogar totgeschlagen, wenn einer von uns dem Mob in die Hände gefallen wäre.» Solche Geschichten stehen nun täglich in den Zeitungen. Das grösste Blatt in der Hauptstadt der Provinz Guangdong hat schon die Fluchtwege abgebildet, auf denen die Spieler im Notfall in die Kabinen flüchten könnten, und erklärt, wie man sie am Ende halbwegs sicher aus der ausverkauften, 70 000 Zuschauer fassenden Arena bringt. «Du wirst bescheuert, wenn du dir dieses Zeugs übersetzen lässt», sagt Haan. Im Falle des Ausscheidens endet sein Vertrag noch in der Nacht zum Donnerstag. «Ich kann nur hoffen, dass meine Mannschaft möglichst viele Tore schiesst - und es in Kuwait mit rechten Dingen zugeht.» Diese Gefahr hat Peter Dato Velappan, der Generalsekretär des Asiatischen Verbandes, schon sehr früh erkannt. Er hat die besten Schiedsrichter seines Erdteils nach Guangzhou geschickt - Unparteiische, die über jeden Verdacht erhaben sind. Zudem wurden diesen Brennpunkten mehrere Beobachter zugeteilt, die jeden Verdacht einer Manipulation ins Hauptquartier der Konföderation melden. Ganz oben wacht auch noch das Auge des Weltverbandes. Die genauen Massnahmen und die Zahl der dafür eingesetzten Kommissare möchte Fifa-Sprecher Andreas Herren nicht nennen.

Die Niederlage anordnen

Schon vor sechs Wochen hat die Zeitung «Oriental Sports Daily» den chinesischen Fussballpräsidenten aufgefordert, die Sache auf politischem Weg zu regeln. Als könne die kommunistische Parteizentrale in Peking einfach anordnen, dass sich die Halbprofis aus der eigenen Sonder- Verwaltungszone ein paar Kilometer hinter der Grenze in die Niederlage in gewünschter Höhe fügen. «Wenn die Katze die Maus bittet, sie nicht zu fressen», argumentierte der Redaktor, dann sei das zwar eine Sensation. Zum gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wohl im bevölkerungsreichsten Land der Erde sei dieses Opfer der Hongkongchinesen aber nötig. In jenem Artikel steht nicht, mit wie viel Renminbi-Yuan oder lieber Dollars der Fussballverband von Hongkong dafür abgefunden wird, dass man gegen den grossen Bruder auf Widerstand verzichtet. Es stand bisher auch in keiner anderen Zeitung, was der Torhüter oder die Verteidiger von Malaysia erhalten werden, wenn sie den Kuwaitern freien Zugang in ihrem Strafraum gewähren. Solche unsittlichen Angebote gibt es. Dafür garantieren schon die Lotterie-Syndikate, vor allem die inoffizielle Wett-Mafia, die in diesem Teil der Welt schon die tollsten Fussball-Geschichten geschrieben hat.

Klaus Schlappner zum Beispiel, einer der Vorgänger Haans, schimpft noch immer über die bis heute ungeklärten Umstände, unter denen sein chinesisches Nationalteam die Qualifikation für die WM 1994 in Amerika verpatzt hat. Das Geld der Ölmilliardäre habe dabei aus dem Rasen gestunken. Schlappner sagt: «Die Araber haben gegen uns zusammengehalten. Der Irak, Jemen, Jordanien und ein syrischer Schiedsrichter.» Mittlerweile ist China Weltmacht, für viele Industrieländer der wichtigste Absatzpartner und im Fussball der Markt der Zukunft - weshalb sich hinter diesen zwei Fussballpartien in Fernost und Orient indirekt auch zwei diskrete Mächte gegenüberstehen. Das Sportbusiness und die Unterwelt der Zocker. In beiden Lagern geht es um sehr viel Geld. Vor allem aber steht der neu geschaffene gute Ruf eines Kontinents auf dem Spiel, den sich der professionalisierte Fussball in Asien im vergangenen Jahrzehnt erworben hat. Asien kann sich keinen Fussball-Skandal mehr leisten. Nicht jetzt. Nicht 2004 - und schon gar nicht im Vorfeld der Olympischen Spiele von Peking 2008.


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